Carolin Schnabel
Ich bin Carolin Schnabel, Sängerin, Vokalperformerin und Soundforscherin an der Schnittstelle von Stimme, Noise, elektronischer Musik und gesellschaftlicher Auseinandersetzung.
Meine Musik klingt wie ein zerkratztes Gedicht. Wie ein Popsong, der sich weigert, sich zu zeigen. Wie etwas Vertrautes, das plötzlich kippt und genau dadurch berührt. Die Stücke entwickeln sich aus freier Improvisation, Beat-Fragmenten, lyrischen Elementen und elektronischer Klangforschung. Ich spiele mit Erwartungen: Immer wenn das Ohr denkt „jetzt kommt der Refrain“, reißt das Konstrukt auf und es entsteht Raum für etwas Neues. Ich liebe das Unfertige, das Zerbrechliche, das Konfrontative.
Man könnte sagen: Meine Musik klingt, als würden sich Björk, Maja S. K. Ratkje und ÄTNA treffen. Irgendwo zwischen Pop-Entwurf, Geräusch und politischer Poesie.
Ich will das Unsichtbare hörbar machen. Mich interessiert, was nicht gesehen wird oder nicht gesehen werden soll: strukturelle Gewalt, emotionale Arbeit, Verletzlichkeit, Selbstermächtigung, Care-Arbeit, Mutterschaft. Meine Musik soll Türen öffnen, nicht schließen. Sie soll Menschen in andere Klangwelten ziehen, auch wenn sie damit vielleicht noch nie in Berührung waren. Es geht mir nicht um Erklärungen, sondern um Erleben. Vielleicht wird ein Impuls ausgelöst, vielleicht bleibt ein Moment des Staunens, vielleicht einfach ein Fragezeichen
Ich glaube, dass Musik ein Ort für Teilhabe sein sollte. Nicht elitär, sondern offen für alle, die zuhören wollen. Viele Menschen, die mit experimenteller Musik sonst nichts am Hut haben, kommen nach Konzerten auf mich zu und sagen: „Ich hab keinen Plan, was ihr da macht, aber ich war voll drin.“
Genau das will ich: Erleben ermöglichen, ohne Vorwissen.
Ich habe gesungen, bevor ich sprechen konnte. Musik war nie Hobby – sie war einfach da. Es gibt ein Video von meinem vierten Geburtstag. Es ist Winter, kurz vor Silvester. Endlich waren mal alle Kinder da. Endlich Publikum. Ich spielte Mini Playback Show, moderierte meine eigene Radiosendung, erfand Lieder. Alle machten mit, erst begeistert, dann gelangweilt. Am Ende vom Video sitzt die ganze Runde am Tisch. Der Magen knurrt, die Pommes und Fischstäbchen werden kalt. Alle schauen genervt in die Kamera – weil ich immer noch singe. Ich hörte nicht auf. Nicht mal da.
In der Grundschule dann der erste Bruch: Ein Kind sagt zu mir, ich solle aufhören zu singen, das nerve. Ich wurde still. Zumindest nach außen. Zu Hause sang ich weiter. Bei der Verabschiedung aus der Grundschule sagte meine Lehrerin Frau Jennerjahn zu mir: „Du wirst irgendwann mal was mit Musik machen.“ Das blieb hängen.
Meine Familie konnte sich keinen Unterricht leisten. Ich brachte mir selbst Gitarre bei, klimperte auf dem Keyboard, das ich von meinem Opa bekam, und schrieb eigene Songs. Mit 16 finanzierte ich mir meinen ersten Gesangsunterricht von meinem Minijob. Ich spielte in Bands, stand aber meist im Hintergrund, weil meine Stimme „zu leise“ war. Nach dem Abi machte ich eine Ausbildung zur Erzieherin und begann danach ein Studium in Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft.
Der große Wendepunkt kam im dritten Semester. Es war Sommer, stickig heiß. Der Vorlesungssaal war voll, das Thema war das Grundgesetz. Es war sterbenslangweilig. Neben mir saß eine Kommilitonin, die den gleichen Weg hinter sich hatte wie ich. Auch Erzieherinnenausbildung, auch Studienkredit. Sie beugte sich zu mir rüber und flüsterte: „Ey Caro, sollten wir mit den Schulden, die wir aufgenommen haben, nicht entweder etwas machen, womit wir richtig Geld verdienen? Oder endlich das, was wir wirklich lieben?“
Ich entschied mich für das, was ich liebte: Musik. Ich schmiss das Studium, fing komplett neu an, lernte Klavier, Musiktheorie, Improvisation, alles, was ich bis dahin nicht konnte und begann Jazzgesang zu studieren.
Heute arbeite ich als freischaffende Musikerin, Vokalperformerin und Soundforscherin. Gerade bereite ich mein neues Album mit meinem Projekt LūX vor, was nächstes Jahr im Herbst erscheint.